Liebe Mitglieder, verehrte Gäste,
Manfred Schmidt hat es angekündigt: wir halten Rückschau. Als wir daran gingen, diese Zeilen niederzuschreiben, stellten sich uns sofort wieder die Fragen: warum haben wir Siebenbürgen verlassen? Wie ist unsere Kreisgruppe zustande gekommen? Wie hat sie sich entwickelt?
850 Jahre lang waren wir stolz darauf, Siebenbürger Sachsen zu sein. Unsere Vorfahren konnten durch den Freibrief des ungarischen Königs ihre Wirtschaft und Gemeinschaft weitgehend selbst gestalten. Sie haben nicht nur ihre berühmten Kirchenburgen gebaut, haben nicht nur vorbildlich Landwirtschaft, Handwerk und Handel betrieben, waren nicht nur an der Gründung fast aller Städte in Siebenbürgen und am Südsaum der Karpaten beteiligt, haben nicht nur unter den ersten in Europa die allgemeine Schulpflicht eingeführt, sondern haben auch große Persönlichkeiten hervorgebracht, wie zum Beispiel Hermann Oberth, den Vater der Raumschifffahrt. Warum sind wir dann plötzlich ausgewandert?
Es waren die gewaltigen politischen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem die Enteignung des Privatbesitzes, und oft auch des persönlichen Eigentums, die dazu geführt haben. Wir wurden der Möglichkeit beraubt, mit unserem Verstand und mit unseren Händen Eigenes, Eigenartiges, Einmaliges zu schaffen. Deshalb haben wir eine neue Heimat gesucht und gefunden, in Österreich, in Kanada, in den USA und die meisten von uns in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben den Verband der Siebenbürger Sachsen gegründet mit dem Ziel, den Zusammenhalt der Landsleute zu festigen, sich gegenseitig zu helfen und das Kulturerbe, die Sitten und Bräuche der Vorfahren zu pflegen und weiterzugeben. Der Verband ist in neun Bundesländern tätig, in Baden-Württemberg haben wir 32 Kreisgruppen, im Landkreis Rastatt haben wir in 17 der 23 Kommunen Mitglieder.
Wie ist unsere Kreisgruppe, die Kreisgruppe Rastatt entstanden?
In der neuen Wahlheimat Fuß zu fassen, war nicht immer leicht. Ein mehr als 200 Jahre alter Satz eines berühmten Siebenbürgers lautet:
„Ihr werdet ja sehen, was ihr macht; nur
macht was, dass wir’s sehen!“ – – –
Diesen Ausspruch unseres Nationalhelden Stefan Ludwig Roth müssen die paar Landsleute vor Augen gehabt haben, die sich Anfang der 60-er Jahre bei Familie Michael Lang in der Schillerstraße und im Ferienhaus in Michelbach zu ihren kleinen „Sachsentreffen“ eingefunden haben. Das war sozusagen die Keimzelle für unseren Verein. Im November 1966 fand im Rheinauer Ring in der Wohnung der Familie Sturm eine Besprechung statt. Ernst Sturm, Michael Lang und Gottfried Maurer leiteten zwei Vorschläge nach Stuttgart weiter: die Organisierung einer eigenen Weihnachtsfeier in Rastatt und die Gründung einer eigenen Kreisgruppe. Beide Vorschläge wurden angenommen. Vor 50 Jahren, am 18. März 1967 fand dann die Gründungssitzung statt. Als Vorsitzender wurde Gottfried Maurer gewählt und er blieb diesem Amt 12 Jahre lang treu. Seine Nachfolger waren Ernst Sturm, Wilhelm Baltres, Johann Schemmel, Kurt Wallmen, Ilse Theiß (kommissarisch), Stefan Neumaier, Manfred Schmidt. Sie alle haben die Geschäftsführungsaufgaben verantwortungs-bewusst wahrgenommenen, darunter die Einladung zu den Vorstandssitzungen und zu den Mitgliederversammlungen, die Vorbereitung der Tagesordnungen und die Leitung der Sitzungen, das Delegieren von Aufgaben, das Ausarbeiten des Terminkalenders. Für die verschiedenen Veranstaltungen kümmerten sie sich um die passenden Räumlichkeiten, die notwendigen Einkäufe und den reibungslosen Ablauf. Bei allen Veranstaltungen hielten sie die üblichen Ansprachen. Sie erfüllten vorbildlich ihre Repräsentationspflichten, folgten den offiziellen Einladungen, nahmen an Sitzungen, Veranstaltungen, Verhandlungen, Gesprächsrunden teil. Bei kommunalen Veranstaltungen haben sie stets die Interessen unserer Kreisgruppe vertreten. Sie haben sich selbstverständlich an den Arbeitstagungen des Vorstandes der Landesgruppe beteiligt, einmal hat die Arbeitstagung in Rastatt stattgefunden. Auch haben sie neue Mitglieder angeworben und die regelmäßige Zahlung der Mitgliedsbeiträge überwacht. Die Anzahl der zahlenden Mitglieder ist von 20 bei der Gründung auf etwa 200 im Jahr 2000 gestiegen, ist aber seit dem Jahr 2000 wieder rückläufig und liegt zur Zeit bei etwa 150. Das ist darauf zurückzuführen, dass immer weniger junge Leute der Kreisgruppe beitreten. Auch haben wir einige Austritte zu verzeichnen und einige Mitglieder sind für immer von uns gegangen. – Sie bleiben uns in dankbarer Erinnerung. —
In ihrer ehrenamtlichen Arbeit unterstützt wurden die oben erwähnten Vorsitzenden im Laufe der 50 Jahre durch weitere Vorstandsmitglieder, das waren und sind gut gesinnte und tatkräftige Mitarbeiter, 43 an der Zahl, die wir aber hier nicht alle namentlich erwähnen können. Sie übernahmen und übernehmen die Rollen der stellvertretenden Vorsitzenden, der Organisationsreferenten, der Kulturreferenten, der Schriftführer, der Frauenreferentinnen, der Jugendreferenten, der Kassenwarte, der Rechnungsprüfer, der Beisitzer. Auch sie alle haben sehr gute Arbeit geleistet, ihnen allen gebührt unsere Achtung und unser Dank für ihre ehrenamtliche Arbeit im Dienste unseres Vereins. Und es gibt auch Mitglieder, die noch nie im Vorstand waren, aber regelmäßig wertvolle Hilfestellung leisten.
Unser Verein ist selbstlos tätig und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke. Nicht nur die Festigung des Zusammenhalts, die Sicherung und Pflege unseres Kulturerbes, sondern auch die Eingliederung jedes Einzelnen in Wirtschaft und Gesellschaft standen über die ersten Jahrzehnte hinweg im Mittelpunkt unserer Bemühungen, die Beratung der Neuankömmlinge in sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen, die Hilfestellung bei der Aufbereitung von Dokumenten. Doch nach der Auflösung des Durchgangslagers Rastatt wurden diese Aufgabenbereiche zurückgefahren. Geblieben sind die Bemühungen um eine fortschreitende Integration in unsere neue Heimat bei gleichzeitiger Bewahrung unserer kulturellen Eigenart. Wobei für uns der Satz gilt: Tradition fördert Integration. Denn in Siebenbürgen gab und gibt es ja seit eh und je deutsche Schulen, Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, evangelische Kirchen mit Gottesdiensten in deutscher Sprache. Unsere Sitten und Bräuche decken sich weitgehend mit den Sitten und Bräuchen im binnendeutschen Raum.
Geblieben sind vor allem auch die jährlich immer wiederkehrenden Veranstaltungen Osterball, Muttertagsfahrt und Muttertagsfeier, Sommerfest, Herbstball, Weihnachtsfeier, bei denen Brauchtumspflege und geselliges Beisammensein sich harmonisch verbinden. Bis vor wenigen Jahren hatten wir jährlich auch den Faschingsball. Vor einem Jahr ist das Grillfest der Jugend dazugekommen. Unzählige Artikel in der „Siebenbürgischen Zeitung“ haben während der vergangenen 50 Jahre über unsere Veranstaltungen berichtet, ab und zu auch in der Lokalpresse. Zunächst ohne Bildmaterial, dann mit Schwarzweiß-Fotos und schließlich von hochwertigen Farbfotos begleitet. Auch auf Rolltafeln und Schautafeln wurden einige Momente aus dem Verbandsleben festgehalten.
Aber auch die Zusammenarbeit mit benachbarten und befreundeten Kreisgruppen ist uns wichtig. Vor 10 Jahren, beim 40-jährigen Jubiläum, hatten wir die Theatergruppe der Kreisgruppe Öhringen zu Besuch, zu einigen Veranstaltungen haben wir Tanzgruppen aus Heilbronn, aus Stuttgart-Schorndorf, aus Ludwigsburg und schon mehrere Male aus Böblingen eingeladen. Heute ist die Tanzgruppe aus Böblingen wieder zu Gast, herzlichen Dank dafür, dass ihr auch diesmal unserer Einladung gefolgt seid. Aber auch wir selbst sind den Einladungen anderer Kreisgruppen gefolgt, wir haben mehrmals an den Festgottesdiensten an Heilige-Drei-Könige in der Evangelischen Stadtkirche in Karlsruhe teilgenommen, unsere Theatergruppe hat Lustspiele in Stuttgart, Schorndorf, Lahr aufgeführt, unsere Blaskapelle hat 2008 beim Heimattag in Dinkelsbühl mitgewirkt.
Unsere Kulturformationen haben in den fünf Jahrzehnten natürlich einige Veränderungen mitgemacht. Der „Chor der Siebenbürger Sachsen“ Rastatt war hervorgegangen aus einer Frauensinggruppe, die 1974 gegründet wurde. Daraus wurde rasch ein gemischter Chor mit über 30 Mitgliedern. Der Chor pflegte volkstümliches und kirchliches Liedgut aus der alten und aus der neuen Heimat. Wir erinnern uns gerne an die vielen Darbietungen bei Wahlversammlungen, bei Weihnachtsfeiern, während Gottesdiensten, bei Jubiläumsfeiern, in Altenheimen, bei Beerdigungen, am Volkstrauertag, bei der Veranstaltung „Singendes, klingendes Rastatt“. Aber auch überregional war der Chor an der 40-Jahr-Feier der Landesgruppe in Stuttgart beteiligt, am Volksliedersingen der siebenbürgischen Chöre in Sachsenheim und Böblingen, am Bundeschorfest in Köln. Die alljährlichen Sommerausflüge haben viel dazu beigetragen, die neue Heimat besser kennen zu lernen. Sie führten nach Drabenderhöhe, Rimsting, Gundelsheim, Lechbruck, Friedrichshafen, Biberach, Cottbus, Regenstauf, Breisach, Schaffhausen, auf die Insel Mainau, ins Elsass, nach Worms, Speyer, Trier, Aachen, Luxemburg, Liechtenstein, usw. und waren oft verbunden mit Darbietungen an diesen Orten. Leider ist nach 2000 die Mitgliederzahl ständig gesunken und im Jahr 2007 beim 40-jährigen Jubiläum hatte der Chor seinen letzten Auftritt. Er musste wegen mangelndem Nachwuchs aufgelöst werden.
Eine neue Formation musste her und 2009 wurde die Theatergruppe gegründet, die Jahr für Jahr zu Ostern ein Lustspiel aufführt und auch schon einige Ausfahrten hinter sich hat. Die Stücke stammen zum großen Teil von siebenbürgischen Mundartautoren.
Unsere Blaskapelle hat ihren Ursprung beim Sommerfest 1992. Damals stellte sich eine kleine Gruppe mit eigenen Musikinstrumenten vor. Im Laufe der Jahre wurde die Formation erweitert und ab 1997 zählte sie 21 Mann und wir kennen unsere Blaskapelle in ihren schicken Uniformen unter dem Namen „Karpatenländer Musikanten“. Sie sind tief im Vereinsleben verankert und unentbehrlich bei den Sommerfesten und bei den Weihnachtsfeiern, sie sind aber auch bei anderen Treffen und Feiern dabei. Auch sie organisieren in jedem Jahr einen Ausflug, zum Beispiel zum Schloss Horneck in Gundelsheim, nach Freiburg und andere, wo sie manchmal auch ihr Können unter Beweis stellen. Heute sind sie ebenfalls hier, um die Jubiläumsfeier mitzugestalten, herzlichen Dank, dass ihr gekommen seid.
Sozusagen der kleinere Bruder ist die Band, die bei Tanzunterhaltungen für gute Stimmung sorgt, zunächst waren das die „Murgdammspatzen“ und zur Zeit ist es das Duo „Ernst und Michael“, auch ihnen ein herzliches Dankeschön für ihre beachtlichen Leistungen, sie wirken mit auch bei Veranstaltungen anderer Kreisgruppen.
Eine weitere wichtige Unterabteilung ist die Handarbeitsgruppe der Frauen, die, so wie die Singgruppe, ebenfalls im Jahr 1974 gegründet wurde. Jeden zweiten Donnerstag wird nach siebenbürgischen Motiven gebastelt, gestrickt, gestickt und gehäkelt. Über Jahre hinweg haben unsere Frauen auch beim Roten Kreuz mitgewirkt, zum Beispiel durch ihre Hilfestellung bei der Blutabnahme. Vor einer Woche war Muttertag und wir möchten den Frauen heute alles Gute wünschen, gute Wünsche kommen ja nie zu spät.
Auch die Muttertagsfahrten dienten nicht nur der Entspannung und Erholung, sondern auch dem besseren Kennen lernen von Sehenswürdigkeiten im Land. Im anschließenden Diavortrag werden wir bestimmt auch davon einige Bilder zu sehen bekommen.
Junge Menschen sind nur schwer für Traditionen zu begeistern. Ab 1982 gab es bei uns eine Jugendgruppe, die bis 1987 eine Mitgliederzahl von 21 erreicht hat. Sie hatten einige gelungene Aktivitäten, zum Beispiel ihre Sketche beim „Heiteren Abend“ im Brückenhof, die Hilfestellungen bei den Veranstaltungen der Kreisgruppe, eine mehrtägige Reise nach Wien, Tagesfahrten per Auto oder Fahrrad, die Beteiligung am Heimattag in Dinkelsbühl und die Beteiligung an Aufführungen der Tanzgruppe der Banater und der Donauschwaben. Leider ist damals die Mitgliederzahl innerhalb weniger Jahre von 21 auf Null gesunken. – Nun gibt es neue Hoffnung. Seit etwa 2 Jahren bemühen wir uns, eine neue Jugendgruppe ins Leben zu rufen und den Nachwuchs zu fördern, seit 2016 haben wir wieder einen Jugendreferenten und erste Aktivitäten haben stattgefunden, und zwar eine Grillparty, eine Fahrt zum Weihnachtsmarkt in Mannheim, die aktive Teilnahme am Sommerfest und an der Osterveranstaltung. Wir möchten unserer Jugend – und nicht nur ihr – den Ausspruch eines Franzosen ans Herz legen: „Tradition heißt nicht, Asche zu bewahren, sondern eine Flamme am Brennen zu halten.“
Abschließend erwähne ich noch einige außergewöhnliche Aktivitäten, zum Beispiel den Diavortrag über siebenbürgische Trachten 1999, das Fußballspiel zwischen Mannschaften aus der alten und aus der neuen Heimat 2001, der erste Osterball 2005, die Mitgestaltung des Heimattages in Dinkelsbühl im Jahr 2008, die Teilnahme am regionalen Heimattreffen in Bühl 2011, die Lesung des Schriftstellers Hans Bergel in der Pagodenburg 2012. Unbedingt erwähnen müssen wir auch die Teilnahme an den Rastatter Stadtfesten mit einem eigenen Stand, das Baumstriezel-Backen gehört ja zu unseren Traditionen, es gehört zu jedem Sommerfest und zu jedem Stadtfest dazu. Wir haben aus unserer Vereinskasse 1.000,- € für die Erhaltung des Siebenbürgischen Kulturzentrums Gundelsheim gespendet und 1400,- € an die Stadt Rastatt für eine öffentliche Sitzbank.
Liebe Festgäste, eines wissen wir mit Sicherheit: die Zukunft kommt bestimmt. Und diese Zukunft bereitet uns einige Sorgen, angesichts der sinkenden Mitgliederzahl. Wir müssen uns noch mehr bemühen, junge Leute in unsere Kreisgruppe zu integrieren. Auch wenn unsere Kreisgruppe mit ihren 50 Jahren nun schon ein schönes Alter erreicht hat, ist sie immer noch imstande, Leistungen der ganz besonderen Art zu erzielen. Wir – der aktuelle Vorstand – wir bemühen uns auch weiterhin, unser Bestes zu tun für unsere Gemeinschaft, für die Pflege von Tradition und das Gelingen von Integration. Seit 1993 stehen uns im Haus der Vereine zwei Räume zur Verfügung, und zwar eine schön eingerichtete Heimatstube, die als Versammlungs- und als Proberaum dient, und ein Lagerraum für Kulissen, Zelte, Kleider, Dokumente, usw.
Heute, an ihrem Jubiläumstag, wünschen wir unserer Kreisgruppe auch für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg in ihrer Arbeit. Unser heutiges Jubiläumsfest soll ein Dank sein an all jene, die unserer Kreisgruppe über die vielen Jahre hinweg die Treue gehalten haben, die für sie gewirkt haben und sie unterstützt haben, also ein Dank an Sie alle, die Sie heute hier sind und auch an all jene, die – aus welchem Grund auch immer – heute nicht dabei sein können.
von Johann Krestel